Die Saat wächst ohne Zutun

«Im Laufe der Zeit wächst die Saat ohne sein Zutun heran. Denn die Erde lässt die Frucht aufgehen und wachsen. Zuerst kommt der Halm, dann die Ähre und endlich als Frucht die Körner. Wenn aus dem Samen das reife Getreide geworden ist, wird es gemäht, denn die Erntezeit ist da.» Markus 4, 27-29

Mir wird im Lauf der Zeit langsam immer klarer, dass die konkreten und realen Verwandlungen sehr klein sind und in der Stille der Seele entstehen und wachsen.

Das Wort der Evangelien ist lebendig, wenn es im Licht unserer aktuellen Lage gelesen wird. Es beantwortet immer eine Frage der Seele, eine Schwierigkeit, die wir gerade erleben. Diese Worte aus dem Markus Evangelium haben mich besonders tief berührt. Oft frage ich mich, was ich eigentlich tun sollte, um eine spezifische Situation meines Lebens zu verändern. Ich konzentriere mich auf die möglichen Lösungen und Strategien, die ich finde sollte um etwas zu verbessern. Diese Versuche scheitern entweder fast immer, oder ich lasse mich monatelang in einen Gedanken verwickeln, mit der Konsequenz, dass ich noch mehr Blockaden haben. Aber ich kann keine Lösungen finden, solange der Boden, wo diese Lösungen oder Veränderungen Anwendung finden sollen, nicht gepflegt wurde. Das bedeutet, ich sollte viel mehr an meiner inneren Einstellung arbeiten. Und es ist eher diese neue innere Anstellung, die eine Veränderung „ohne Zutun“ ablaufen lässt. Anders gesagt: wenn die Seele bereit ist, sind es die Dinge auch. Und diese geschehen ohne viel Anstrengung. Das Feld oder die Seele zu bereiten ist somit unsere erste Aufgabe. Das ist die wahre Herausforderung. Eine Herausforderung, auf die es lohnt zu wetten. Vor allen Dingen, wenn ich aufmerksam werde, merke ich, dass die Wände meiner Seele aus Eis bestehen. Das ist kein poetischer Ausdruck. Oft ist die Seele aus Angst, Verschlossenheit, Entmündigung, Enttäuschung zusammengezogen und verdichtet. Sie aufzulösen, damit das Leben wieder fließen kann, ist schon uns selbst gegenüber ein Geschenk. Aber nicht nur, es ist sogar ein erster revolutionärer Akt. Wir können nichts von uns und von der Welt ändern, wenn wir nicht erst unseren Geist geändert haben. Wo soll ich denn den Mut finden, auf etwas zu reagieren, wenn meine innere Anstellung durch Angst, Misstrauen und Entmutigung eingefroren ist? Wo finde ich die Energie dafür, und warum sollte ich das machen, wenn ich keine Hoffnungen für die Zukunft habe? Die tägliche Arbeit um das Feld meiner Seele zu bereiten, ist daher eine Arbeit, um die Seele von diesem Unkraut zu befreien. Woher kommen diese negativen Urteile, diese pessimistischen Gefühle? Warum bin ich mit solchen Überzeugungen groß geworden? Es ist wichtig, der Seele zum Zuhören zu verhelfen, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Wenn die Seele zum Aufhören vorbereitet wird, dann können uns auch die Worte des Evangeliums in unserm Innersten erreichen. Normalerwiese sind wir nämlich daran gewöhnt, unsere rationalen Gedanken von unseren Gefühlen getrennt zu halten. Von einem rationalen Gesichtspunkt aus scheinen uns diese Worte irrational oder sogar dumm. Wenn ich aber versuche, die Worte jenseits ihrer Grundbedeutung zu sehen, wenn ich versuche diese Worte ohne Vorurteile zu lesen, nachdem, ich mit meiner Seele in Kontakt getreten bin – an dem Punkt, wo ich meine tiefsten Ängste und Blockaden gespürt hatte – kann ich eine andere Bedeutung dieser Worte erfahren. Sie verraten uns ihre ganze innewohnende heilende Kraft, und sie können uns endlich als neu klingen und uns persönlich ansprechen.