Coronavirus: die Interpretation des Phänomens aus einer spirituellen Sicht. Ein Interview mit Marco Guzzi

 

In diesem Interview möchte ich mich gern mit der Problematik dieser Pandemie beschäftigen, die seit einiger Zeit auch hier in Europa, besonders in Italien, unser Leben und unsere Gewohnheiten radikal verändert hat. Man spricht sehr viel darüber, doch würde ich heute mit dir gemeinsam gern versuchen, das Thema aus einer anderen Sicht zu betrachten. Wie interpretierst du [Marco Guzzi]diese Zeit, die wir gerade erleben?

 

Es ist offensichtlich, dass wir uns einem weltweiten  Phänomen von historischer Bedeutung gegenüber sehen. Ein Phänomen, das auf einer sehr tiefen und noch nicht vorhersehbaren Ebene in unser Bewusstsein und in unser Leben einschneidet. Dieses Phänomen kann natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln interpretiert werden. Einige von diesen gehören nicht zu meinem Bereich – wie zum Beispiel der wissenschaftliche Standpunkt, der in jedem Falle in der öffentlichen Kommunikation bereits vertreten ist. Was dagegen in meiner Kompetenz liegt, ist vielleicht die spirituelle Interpretation. Es ist außer Frage, dass Italien und die ganze Welt gerade eine wirklich einzigartige Erfahrung in der Geschichte erleben, die wir als menschliche Wesen dazu angehalten sind, zu verstehen und zu interpretieren. Die spirituelle Sicht ist immer diejenige, die auf eine tiefere Weise versucht, die Phänomene zu „lesen“. Das ist die Bedeutung des Wortes „Intellekt“, „Intelligenz“. Es bedeutet, die Ereignisse wirklich in der Tiefe zu verstehen, um daraus eine Lehre zu ziehen. Die erste Sache, die mir einfällt, ist, dass diese Pandemie uns dazu zwingt, anzuhalten. Millionen von Menschen wurden von einem Tag auf den anderen gezwungen, anzuhalten und sich Zuhause einzusperren. Das lässt uns darüber nachdenken, ob wir vielleicht zu schnell rotierten. Diese Gesellschaft – und das sagen wir seit mindestens 40 Jahren – wird von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer schneller und entwickelt sich darüber hinaus immer mehr in eine katastrophale Richtung, sowohl für die Umwelt als auch für die menschliche Psyche. Wir sollten uns fragen, ob dieser obligatorische Stopp wie eine bittere Medizin ist.  

 

Wir könnten also demnach behaupten, Marco, dass aus einer spirituellen Sicht gesehen das, was wir heute aus menschlicher Sicht als etwas Schlechtes ansehen, hingegen etwas Gutes sein könnte, um uns vor einer vielleicht größeren Gefahr zu schützen?

 

Nun ja, es ist immer der Mensch, der durch seine negativen Handlungen Verheerendes bewirkt. Wenn ich zum Beispiel ein unvernünftiges Leben führe, wird dieses Verhalten bestimmte Auswirkungen haben. Das kann jedoch auch positiv interpretiert werden, wenn ich daraus eine Lehre ziehe. Wenn wir bei dieser Metapher bleiben, dann hat uns vielleicht dieses hemmungslose Verhalten, das wir seit Jahrzehnten gegenüber der Natur, gegenüber unserer eigenen Existenz und gegenüber den anderen an den Tag legen, in diese Krankheit gestürzt. Aber es kann auch eine Gelegenheit sein, um uns wieder ganz ursprüngliche Fragen zu stellen, wie zum Beispiel, was uns wirklich glücklich macht. Was braucht ein menschliches Leben, um sich zu verwirklichen? Ja ist es denn wirklich dieses produktive System, das uns glücklich macht? Oder macht es uns dagegen traurigerweise unglücklich? Dieser obligatorische Stopp kann uns, wenn wir es wollen,  dabei helfen, auf eine neue Weise zu denken. Die Ursprünglichkeit dieser Fragen kann uns dabei helfen, zur Quelle des Lebens zurückzukehren, zum Herzens des Mysteriums.

 

Viele sagen hingegen, dass nach dieser Probe alles genauso wie vorher laufen wird, da der Mensch nicht fähig ist, aus seinen Fehlern zu lernen. Was antwortest du darauf?

 

Wie bei jedem großen Umbruch der Geschichte, wird es eine gewisse Zweigleisigkeit geben. Nicht alle Menschen werden die Lektion bis ins Letzte lernen. Es wird einen Konflikt geben und es wird auch soziale Konflikte geben, in denen einige eine ernsthaftere Kursänderung auch hinsichtlich wirtschaftlicher und sozialer Strukturen einschlagen würden. Andere hingegen, die sich noch mehr verhärten und dazu neigen, diese Zustände noch zu verschlimmern, hin zu einer noch stärkeren Entfremdung. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen hat der Christ eine sehr realistische Weltanschauung. Er weiß, dass das Reich, also die perfekte Beziehung zwischen den Menschen und zwischen Gott und den Menschen, diese Welt als Prophezeiung und als Zeugnis durchläuft und wie ein Same darin aufwächst. Doch die komplette Verwirklichung des Reiches wird sich niemals auf dieser Erde vollziehen. Die Geschichte ist ein spiralförmiger Prozess, es geht weiter, man kommt voran. Es stimmt nicht, dass die Menschen aus vergangenen Tragödien nichts gelernt hätten, wie zum Beispiel aus den Weltkriegen. Die Sache ist zweideutig. Unter bestimmten Aspekten haben sich die Dinge extrem verbessert, unter anderen haben sie sich sogar verschlimmert. Die christliche und biblische Anschauung hält dieses Paradoxon zusammen, d.h., dass sich die Dinge gleichzeitig verbessern und verschlimmern können. Die kollektive Geschichte ist eine Mischung, in der die Geschichte der Rettung eindringt, jedoch niemals auf lineare und voranschreitende Weise. Die Gefahr nimmt in dem Maße zu, wie das Licht zunimmt. Wir müssen uns also heute angesichts dieser Pandemie fragen, was wir machen können, um der Menschheit dabei zu helfen, bestimmte Verzerrungen zu korrigieren, die schon vorher offensichtlich waren. Und um somit einen vernünftigeren Weg der weiteren Entwicklung zu gehen.

Wir als Bewegung Darsi Pace bieten – im Rahmen unserer Möglichkeiten – ein paar gemeinsame Momente der Meditation und des Gebets an (die wir momentan online machen). Wir müssen uns gegenseitig helfen, um diese Nacht zu überstehen. Die psychologische Gefahr dieser Situation wird noch immer zu sehr unterschätzt, wie zum Beispiel das Zusammenleben auf engstem Raum, dieses Gefühl der Frustration, der Ohnmacht und der Angst. Und zudem mit Kindern im Haus, die all das erleben müssen. Diese Momente der Meditation und des Gebets, die wir online anbieten (in italienischer Sprache), sind offen für alle und sollen ein bisschen Trost spenden und spirituell-psychologische Unterstützung sein. Deshalb laden wir auch die Freunde im deutschsprachigen Raum ein, sich uns ganz frei anzuschließen. Auf unseren Facebook-Seiten Darsi Pace und Marco Guzzi werden wir Uhrzeiten und Daten unserer freien Initiative veröffentlichen (momentan immer dienstags, donnerstags und sonntags um 18.30).

 

Wir erinnern an unsere Internetauftritte: Die deutsche Internetseite: www.darsipace.org; die deutsche Facebook Seite: Sich Frieden Schenken; Instagram: Frieden Schenken

Die italienischen Seiten: www.darsipace.it; Facebook: Darsi Pace; Facebook: Marco Guzzi

Unsere Leser können an die folgende Adresse schreiben: kontakt@darsipace.org

 

Interview von Maila Arelli