DARING GREATLY: GROSS WAGEN

Vor einigen Monaten bin ich im Internet durch völligen Zufall auf einen Vortrag von Brené Brown mit dem Titel „the power of vulnerability“ (Die Macht der Verletzlichkeit) gestoßen. Das Thema habe ich später anhand des Buches „Daring Greatly. How the Courage to Be Vulnerable Transforms the Way we Live, we Love, Parent and Lead “ vertieft.

Warum hat mich dieses Thema so ergriffen?

Die Angst, verletzt oder angegriffen zu werden hemmt uns oft direkt an der Quelle der Kreativität, des legitimen Wunsches, sich ausdrücken zu können, was letztendlich nichts anderes ist als ein Wunsch nach Leben und Freiheit. Wie oft hingegen sabotieren wir uns selbst und wollen nicht aus unserer Schattenzone heraustreten, aus Angst davor, tödlich verletzt zu werden? Verletzt dort, wo wir das schlagende Herz unseres Seins verorten?

Einer der vielen interessanten Aspekte, die im Text hervorgehoben werden, ist der Unterschied zwischen Verletzlichkeit und Schwäche. Um uns an den Unterschied zwischen den beiden Begriffen heranzuführen, bezieht sich die Autorin auf die Etymologie dieser Wörter laut Merrian-Webster Dictionary . Das Erste, die Verletzlichkeit, wird als „die Fähigkeit, verletzt zu werden“ (capable of being wounded) und als „offen für Angriffe und Verletzungen“ (open to attack or damage) beschrieben. Wohingegen Zweiteres als „die Unfähigkeit, Angriffen oder dem Verletzt sein standzuhalten“ (the inability to withstand attack or wounding)definiert wird. Dieser Anstoß scheint mit besonders interessant und passend zu unserem Weg. So wie es oft passiert, wenn man eine Landschaft aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Es lässt einen die Schönheit noch besser erfassen.

Was ist nämlich die Schwäche, wenn nicht der Versuch, eine „Verteidigungsstrategie“ oder „Widerstand“ aufzubauen? Sehr früh, von Kindheit an, lernen wir genau das. Wenn wir zum Beispiel mit unseren Mitteln eine Strategie suchen, um dem Schmerz zu widerstehen, dann verschließen wir uns in uns selbst. Doch im Grunde sind wir unfähig, zu widerstehen und somit in diesem Sinne schwach, doch es ist gerade die Verteidigungsstrategie selbst das Problem, wie wir später sehen werden.

Das, was „Verletzlichkeit“ hingegen bedeutet, ist anders. Es ist die Fähigkeit, den Angriff und die Verletzung anzunehmen. Dies wiederum setzt voraus, dass man sich den Dingen aussetzt und sich selbst ins Spiel bringt.

Aber warum ist die Verteidigungsstrategie, die uns theoretisch schützen sollte, eine Form von Schwäche? Wie wir oft in unseren Zusammenkünften sagen: Die Verteidigung hält niemals, was sie verspricht. Wir täuschen uns, dass, wenn wir uns verschließen, wir in Sicherheit sind und folglich – unter einem bestimmten Aspekt –glücklicher. Doch es ist genau dieses falsche Versprechen, das unsere Existenz grau anstreicht und unser Leben an Qualität verlieren lässt.

In Einklang damit sind die Forschungsergebnisse von Brenè Brown, die zwölf Jahre lang Hunderte von Frauen und Männern aller Schichten und jeglichen Alters interviewt hat, um die Verhaltensweisen und Einstellungen zu bestimmen, die der Verletzlichkeit –im positiven Sinne –oder aber der Scham zugrunde liegen.

Kurz gesagt, das, was  uns in der Verteidigung verschließen lässt ist die Angst oder Scham, nicht „genug zu sein“, was von der Autorin mit dem Begriff „scarcity“ definiert wird. Aus den Forschungen geht hervor, dass dieses Gefühl „nicht genug zu sein“ (nicht mutig genug, nicht schön und fit genug, nicht reich genug, nicht gebildet genug, nicht erfolgreich genug und so weiter…) eine der stärksten emotiven Blockaden darstellt, die uns in den unterschiedlichsten Situationen, von den sozialen Beziehungen bis hin zur Arbeit, im Griff hält. Und wie in einem Teufelskreis verstärkt diese passive und resignierte Haltung, die sich im Laufe der Zeit festgesetzt hat, die Vorstellung „nicht genug zu sein“. Mit anderen Worten: wenn wir niemals wagen, verankert sich die Überzeugung, unfähig zu sein, noch stärker in uns. Diese Vorstellung „nicht genug zu sein“ gehört zu den falschen Glaubenssätzen, die in der Zeit introjiziert sind. Es ist eine dieser tiefen Ängste, hinter der sich der Abgrund der Verzweiflung auftut.

„Verletzlichkeit“ hingegen bedeutet, Mut, Mitgefühl und Verbundenheit zu pflegen (it means cultivating the courage, compassion, and connection). Nun wenn es in den meisten Fällen –wie wir gesehen haben – eine blockierende Angst gibt: die Angst, in unserer Imperfektion gesehen zu werden, die Angst, verurteilt oder nicht geschätzt zu werden, wie kann man dann diese Schwelle überwinden?

Laut den Forschungen unserer Soziologin sind die verletzlichsten Menschen (und somit die mutigsten, die mitfühlendsten und kreativsten)diejenigen, die sich selbst als wertvoll betrachten. Es sind diejenigen, die sich tief in ihrem Inneren die Überzeugung bewahren, liebenswert (worthy of love) zu sein; und das völlig unabhängig von den Kritiken, vom Scheitern, von den Misserfolgen und von dem Gefühl, in bestimmten Situationen „nicht genug zu sein“.

Nur durch das Erleben einer bedingungslosen Liebe können wir den falschen Glaubenssatz neu programmieren. Diesen Glaubenssatz, der uns schüchtern und ängstlich will, in die Ecke gesperrt, aus Angst, dass dieses „nicht genug sein“ der einzigentscheidende Faktor ist, der den Wert unserer Existenz bestimmt.

Ich finde, dass diese Erfahrung und die Gewissheit, der bedingungslosen Liebe wert zu sein, sowohl den Heilungsprozess selbst darstellt als auch die Antwort, die wir uns selbst geben können, wenn es darum geht, uns selbst ins Spiel zu bringen. Und das in jeglichem Bereich unseres Lebens, bei jeglicher Herausforderung, der wir uns gegenüber sehen.