Vom Ich an bis zum Wir

 

Philosophen und Soziologen sind nicht die Einzigen, die heutzutage über die Notwendigkeit einer Veränderung sprechen. Auch bedeutende Wirtschaftler wie Jeremy Rifkin oder die Britin Noreena Hertz sprechen darüber. Letztere hat beispielsweise im Jahr 2020 ein Buch veröffentlicht, welches sie „The Lonely Century“ (Das Zeitalter der Einsamkeit) genannt hat. Die Autorin selbst schreibt: „Ich definiere Einsamkeit als einen inneren wie auch existenziellen Zustand – persönlich, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch.“
Sie meint die Einsamkeit als einen Mange an Unterstützung, nicht nur von Freunden und Familie, sondern auch von der Regierung und vom Staat. Umfragen zufolge fühlen sich 40 % der Arbeiter allein gelassen (in Großbritannien erreicht der Anteil sogar 60 %). Diese Zahlen haben nicht nur gesellschaftliche und psychologische Folgen, sondern auch wirtschaftliche, da die Einsamkeit auf lange Sicht auch Auswirkungen auf die Gesundheit hat und das wirkt sich natürlich auch auf die Produktivität der Arbeiter aus. Also zynisch gesagt: Selbst, wenn uns der psychologische Aspekt nicht interessieren würde, wäre es in jedem Falle unter diesem Gesichtspunkt wichtig, sich damit auseinanderzusetzen.

Durch ihr Buch möchte sie aber nicht einfach nur bloße Kritik üben. Sie möchte auch Hoffnung teilen. Sie sagt, wir sind ein Teil des Problems, aber jeder von uns hat es zu einem gewissen Grad selbst in der Hand, diese Krise der Einsamkeit zu überwinden. Jeder von uns spielt eine Rolle, um zu einer vereinten Gesellschaft beizutragen.

Krisen waren für die Menschheit immer Ausgangspunkt, um die Gesellschaft nachhaltig zu verbessern. Die Autorin führt als Beispiel das Gesundheitssystem in Großbritannien an, das genau nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde. Auch in der jetzigen Phase, die durch die Coronapandemie so viel Veränderung mit sich bringt, können wir die Schwierigkeiten als Chancen nutzen. Wir sollten eine andere Form des Kapitalismus annehmen, eine kollektivistischere. Wir brauchen stärkere Regierungen, wodurch jeweils das lokale Wirtschaftssystem und nachhaltiges Wirtschaften gefördert werden würde.

Abgesehen von den konkreten Vorschlägen und den neuen Ansätzen in ihrem Buch, finde ich interessant, dass sie als prominente Ökonomin zu einem Paradigmenwechsel beitragen möchte. Und zwar, wie sie selbst sagt, den Übergang von einer „Ich-Gesellschaft“ zu einer „Wir-Wirtschaft“. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, befinden wir uns wirklich an der Schwelle eines anthropologischen Wandels, und alle Disziplinen sind immer mehr vereint: die Kooperation, die Verbundenheit der Menschen untereinander bilden die unabdingbare Grundlage für eine neue Form der Menschheit. Aber dabei sollten wir niemals vergessen, dass die Suche nach Integrität immer bei uns selbst beginnt. Wenn also das Innere einheitlich und harmonisch ist, wird auch unser Einsatz und unser Handeln nach außen wirksamer sein.