Archiv für 2020

DER GEIST DER ADVENTSZEIT (Worte zum Nachdenken von Anselm Grün)

 

„Die Weihnachtszeit ist die Zeit, in der wir uns unserer Sehnsüchte bewusst werden. Wenn wir still vor einer Kerze sitzen, wenn wir die Weihnachtslieder leise vor uns hinsingen, dann steigt in uns eine Sehnsucht auf, die diese Welt übersteigt. Die Sehnsucht macht das Herz weit. Aber sie tut auch weh. Daher verdrängen viele ihre Sehnsucht. Verdrängte Sehnsucht aber führt zur Sucht.

Jeder von uns kennt in sich Süchte. Die Sucht nach Anerkennung, nach Erfolg, nach Beziehung, die Sucht nach Alkohol, Drogen, Tabletten, die Arbeitssucht, die Spielsucht, die Esssucht, die Magersucht.

Advent wäre die Zeit, unsere Süchte wieder in Sehnsüchte zu verwandeln. Wenn wir in der Stille unseren Sehnsüchten Raum lassen, dann werden wir spüren, dass wir nicht zufrieden sind mit dem, was wir gerade tun und leben. In uns ist ein unstillbarer Durst nach Liebe, der von keinem Menschen gestillt werden kann. Unsere Sehnsucht geht über diese Welt hinaus.

Wir erahnen, dass allein Gott unsere tiefste Sehnsucht zu erfüllen vermag. Das Wort „sehnen“ bedeutet: liebend verlangen, sich härmen. Sehnsucht meint ein inniges und zugleich schmerzliches Verlangen nach etwas, was das ganze Herz erfüllt. Sehnsucht steigt aus der Tiefe auf. Aber sie bereitet uns auch Schmerzen. Sie schenkt uns Wärme und Weite, und zugleich lässt sie uns schmerzlich erfahren, dass wir weit weg sind von dem, was unser Leben eigentlich ausmachen könnte.

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Gott in uns tragen

 

Liebe Freunde,

an diesem dritten Adventssonntag möchten wir auf Weihnachten einstimmen, mit Worten, die uns helfen, besser in diese Atmosphäre einzutauchen:

Es ist an der Zeit, uns erneut mit Klarheit zu sagen, dass sich jeder Mann und jede Frau ein Leben ohne Ende, eine Freude ohne Grenzen, vollkommene Erkenntnis und eine endlich freie Liebe wünscht. Im eigentlichen Sinne wollen wir Gott. Wir sind gottgleich und theophorisch: Noch vor jeglicher Glaubens- oder nicht Glaubensentscheidung tragen wir in jedem Fall Gott, das Absolute, die Fülle des Lebens in uns, wie als Abdruck unserer eigenen Substanz. So wie auch Benedikt XVI. in der Enzyklika Spe salvi erinnert hat:

„Leben im wahren Sinn hat man nicht in sich allein und nicht aus sich allein: Es ist eine Beziehung. Und das Leben in seiner Ganzheit ist Beziehung zu dem, der die Quelle des Lebens ist. Wenn wir mit dem in Beziehung sind, der nicht stirbt, der das Leben selber ist und die Liebe selber, dann sind wir im Leben.“

Marco Guzzi Dalla fine all’inizio (vom Ende bis zum Anfang)

Wir können nur die Wahrheit kennen, der wir Glaubwürdigkeit verleihen

„Nur indem wir dem unendlichen Mysterium,
das in uns wohnt,
zuhören, können wir jeden Tag die neuen Signale der Wahrheit empfangen,
die kleinen täglichen Häppchen dieser Substanz, die uns
zu vollkommenen Männern und Frauen macht, erhalten.
Nicht anders.
[…]
Aber wenn uns die Wahrheit von Tag zu Tag,
in kleinen täglichen Dosen gegeben wird,
und indem wir dem Abgrund zuhören, aus dem wir bestehen, und
der uns Substanz gibt und der in unserem Sprechen spricht,
dann gründet sich die Suche der Wahrheit immer auf einen
vorangestellten und wiederholten Akt der Öffnung und des Sich-Anvertrauens
an diese Stille, die uns von dem erzählt, was wir noch nicht kennen,
und die uns in das verwandelt, was wir noch nicht sind.

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Die menschliche Berufung

“Jedes menschliche Wesen, aus dem Grund, da es ein solches ist, spürt in sich ein tiefes und geheimnisvolles Bewusstsein, einen heiligen Ort, der nur für ihn selbst zugänglich ist. Ein Schmelztiegel, in dem innerlich das eigene Selbst lebt. Ein Ort, an dem er eine Stimme, eine Berufung wahrnimmt, einen Impuls, den Wunsch, aus sich selbst herauszugehen, um sich selbst zu verwirklichen. Diese Stimme fordert eine Antwort, ein responsum, die Übernahme eine Verantwortung also, die zeigt, wie wir leben sollen, welche Entscheidungen wir treffen sollen, wie wir das Leben retten können […].

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Sich selbst lieben

 

Sich selbst lieben ist heutzutage ein Ausdruck, der extrem inflationär gebraucht wird, ja missbraucht wird! Wir hören es ständig und wie alles, was endlos wiederholt wird, ist es zu etwas Selbstverständlichem geworden. Mitunter verwechseln wir es damit, sich ab und zu ein kleines Geschenk zu machen, sich eine vorübergehende Befriedigung zu gönnen. Was an sich nichts Falsches ist, solange wir nicht glauben, dass es damit erledigt wäre! Nein, sich um sich selbst kümmern ist in Wirklichkeit ein sehr langer Prozess, der Vergebung, Versöhnung und die Annahme eines Teils von uns voraussetzt, den wir oft verabscheuen. Tatsächlich tun wir unterschwellig oft alles, um uns selbst wehzutun, um unsere Wünsche zu sabotieren und das, was uns am wichtigsten ist. Aber warum gibt es einen Teil von uns, den wir nicht lieben? Oft ist es unsere Zerbrechlichkeit, sind es unsere Grenzen, die wir nicht akzeptieren. Doch wir lernen von klein an, sie zu maskieren, auf Krampf etwas zu spielen, was wir nicht sind. Wir glauben fälschlicherweise, dass wir auf diese Weise angenommen sein werden, mehr geliebt von den anderen und Stück für Stück drängen wir diesen Teil von uns in eine Ecke und schenken ihm kein Gehör mehr. Doch trotz allem äußert sich dieser Teil weiterhin, in Form von schäumender Wut uns gegenüber, mit der Forderung, gehört und berücksichtigt zu werden.  [Weiterlesen…]

Spiritualität, Gesellschaft und Politik

Wenn die Suche nach Spiritualität und nach einer tieferen Dimension unserer Existenz auf der letzten Stufe der Prioritätenliste ist – oder gar ganz abwesend ist – dann brauchen wir uns nicht wundern über den Untergang unserer Kultur . Woher soll das menschliche Wesen die Kräfte nehmen, um seine Herausforderungen zu bewältigen, wenn nicht aus den tiefsten Quellen des Seins? Es ist nicht einfach nur eine persönliche Frage, sondern auch eine gesellschaftliche und politische, angesichts der tiefen Verbundenheit aller Dinge.

Wenn eine Person gezwungen ist, zehn Stunden am Tag zu arbeiten, um überleben zu können, wird sie natürlich weder die Zeit noch die Kraft haben, um über den spirituellen Aspekt ihrer Existenz nachzudenken. Doch ist es möglich, dass wir es in einer technisierten und letztlich reichen Gesellschaft wie der unseren nicht geschafft haben, die Menschen von zu vielen Lasten und Problemen zu befreien? Das Wachstum und der Fortschritt haben uns letztendlich überhaupt nicht mehr Glück und Zeit für uns selbst gebracht. Im Gegenteil, es scheint, als würden wir permanent in Beschleunigung und Sorge leben.    [Weiterlesen…]